a|e| GALERIE
Dr. Angelika Euchner Charlottenstr 13 14467 Potsdam
Pressemitteilung/Ausstellungsinfo für alle Besucher
Daniel Graefen “Berlin – Karschevitoye – Berlin“
Vernissage Freitag 16. September 19 UhrPressemitteilung/Ausstellungsinfo für alle Besucher
Daniel Graefen “Berlin – Karschevitoye – Berlin“
Begrüßung Dr. Angelika Euchner
Einführung: Daniel Graefen
KURZFRISTIGE VERANSTALTUNGSHINWEISE SIND UNTER www.kunst-potsdam.de/kalender.html ZU FINDEN.
Wostok – Восток - Osten bis nach Karschevitoye geht die Reise
Fotografien und Interviews aus der Ukraine von 2015
Wostok ist Russisch und heißt Osten. Die präsentierten Fotografien entstanden über mehrere Jahre im geographisch wirklich nahen Osten, in einer vom 2. Weltkrieg am stärksten verwüsteten Region unseres Kontinents. Nur in Karschevitoye, einem Dorf an der Wolga 100 Kilometer östlich von Wolgograd (ehemals Stalingrad), entstanden Fotografien jenseits der damaligen Front – 2500 Kilometer von Berlin entfernt. Die 33 Fotografien sind so angeordnet, als ob sie auf einer einzelnen Reise entstanden wären: von Berlin mit der russischen Ruhestätte im Treptower Park, über Gdansk, Kaliningrad, Smolensk, Kiew bis nach Karschevitoye und wieder zurück bis zu einer ehemaligen sowjetischen Panzerkaserne Forst Zinna bei Jüterbog, 50 Kilometer südlich von Berlin.
Für viele Westeuropäer ist dieses Wostok terra incognita. „Hic sunt leones“ steht auf alten Landkarten dort, wo Unerforschtes noch schlummert. „Weit hinten, ganz außen“ schreibt Stephan Wackwitz. („Was wir verloren haben“ in: „Nachdenken über die Ukraine“ 2022). Daniel Graefen unternahm seine Studienreisen nach Polen, die Ukraine und Russland seit 2006. In der a|e Galerie reihen sich Denkmäler, mittelalterlich anmutende Städte, Friedhöfe, Ruinen, der riesige Maidan in Kiew neben Plattenbauten und urbaner Verwahrlosung. Kurze Texte und QR-Codes des Fotografen liefern notwendige Informationen für eine intensivere Bilderschließung. Man sieht nur was man weiß!
Wie Echos können Spuren der jüngsten Geschichte heute noch nachklingen. So sieht es Daniel Graefen. Echos sind der 2. Weltkrieg, der untergegangene Kommunismus, der Schock der Transformation zum Kapitalismus und der Maidan 2013/14 in Kiew mit seinen Auswirkungen.
Krieg
Wir wissen alle, daß die wiederaufgebauten Städte Folgen des 2. Welt-kriegs sind. Mit Vorliebe rekonstruieren wir sie uns “schön“ in den Vorkriegsstatus zurück. Danzig wurde seit 1939 schwer zerstört. („Seit 5:45 Uhr wird jetzt zurückgeschossen“). In den 60er und 70er Jahren wurde die Hafenstadt wieder aufgebaut, aber hinter den bröckelnden neubarocken Fassaden wird der Betonkern sichtbar. Kaliningrad ehemals Königsberg ist eine russische Enklave und wurde durch britische Bombenangriffe 1944 und durch die Rote Armee im April 1945 stark zerstört. Heute ist das ehemalige historische Zentrum Kneiphof ein Park
mit dem herausragenden Dom (Grab von Immanuel Kant). Vor dieser Kulisse lassen sich gerne Hochzeitspaare ablichten.
Untergegangener Kommunismus
Neben den Denkmälern erscheint dieses Echo sichtbar in den typisch in kommunistischer Zeit entstandenen Wohn- und Repräsentationsbauten oder in den riesigen Platzanlagen wie in Charkiv oder Kiew. In fast allen Städten grüßt Lenin vom Sockel wie in Nikopol oder eine pathetische Monumentalfigur wie Mutter Heimat in Kiew. Schocktherapie/Transformation
In den zum überwiegenden Teil während der kommunistischen Zeit gebauten oder rekonstruierten Städte wie Smolensk hat sich das heutige Leben eingerichtet mit seinen Reklametafeln, Coca-Cola Schirmchen, Handy-Shops und Imbissbuden. Große Armut ist sichtbar, das Angebot in den alten Markthallen überschaubar. Unübersehbar der protzige Reichtum: Riesige SUVs prägen das Stadtbild. Mit einer sogenannten Schocktherapie (шоковая терапия) versuchte Boris Jelzin den Übergang von der Plan- in die Marktwirtschaft Anfang der 90er Jahre möglichst schnell zu vollziehen. Er stürzte die Bevölkerung in zum Teil elende Armut und machte damit gleichzeitig eine Elite binnen kürzester Zeit unvorstellbar reich. Es entstand das Oligarchentum. Jelzin hatte die größten Rohstoffkombinate veräußert. Sieben Bankiers profitierten, darunter Michail Chodorkowski. Maidan in Kiew
Der Maidan als Umbruch in der Ukraine im Winter 2013/2014 klingt nur an. Fotos der erschossenen Demonstranten neben niedergelegten, vor sich hinwelkenden Blumen prägen improvisierte „Gefallenen“mementos. Boris Nemzow ist darunter sicherlich das Berühmteste. Ein Jahr vor seiner Ermordung 2015 notierte er: “Der Kreml kultiviert und belohnt die niedrigsten Instinkte der Menschen, um Hass und Kampfbereitschaft zu fördern. Diese Hölle kann nicht friedlich ausgehen.“ (Christine Brinck „Getreide als Waffe“ S. 20 in PNN, 22. September 2022). In der Ukraine wurden nach dem Maidan Leninstatuen vom Sockel gekippt oder in ukrainischen Nationalfarben bemalt wie in Nikopol.
Interviews aus der Ukraine
Im Souterrain der Galerie sind Portraits von Ukrainern, die Daniel Graefen bei einer Interviewrecherche 2015 fotografiert hat. Ihre zentralen Aussagen sind textlich dargestellt. Zusätzlich hört man die Stimmen der Interviewten in ihren Muttersprachen. Vielen ist gemeinsam die Befürchtung eines bevorstehenden Krieges. So äußert der Schauspieler Igor Salimonov aus Kiew: „Sofort nach der Annexion wollten wir nach Lemberg fahren, wir wollten so weit wie möglich von Russland weg sein, weil wir dachten zu dieser Zeit, dass Putin noch weiter einmarschieren würde.“ Sommer 2022
Diesen Sommer sollte es wieder in die Ukraine gehen. Eine selbstorganisierte Studienreise. Das ist schon Abenteuer genug. Aber das lässt sich noch toppen: Daniel Graefen und seine Partnerin Elisabeth Hronek wollten wieder mit ihren Motorrädern und Zelt aufbrechen. Die Interviewten von 2015 wollten sie aufsuchen und sie über die Entwicklungen der letzten sieben Jahre befragen. Doch viele haben inzwischen ihre Wohnorte verlassen, einige das Land.
Text: Daniel Graefen und Angelika Euchner – September 2022
Die meisten Fotografien werden in der a|e Galerie erstmalig der Öffentlichkeit vorgestellt.
Katalog Daniel Graefen „Stand der Dinge“ Graefen und Hronek Verlag, Berlin 2. Auflage 2014 60,-€
Daniel Graefen und Elisabeth Hronek „Ukraine Begegnungen – Interviews“
Graefen und Hronek Verlag, Berlin Erste Ausgabe 2018
Ausstellungszeit:
17. September - 5. November 2022 Mi -Fr 15 -19 + Sa 12 –16 Uhr
0178 602 82 10 aeuchner@mail.de
Fotografien und Interviews aus der Ukraine von 2015
Wostok ist Russisch und heißt Osten. Die präsentierten Fotografien entstanden über mehrere Jahre im geographisch wirklich nahen Osten, in einer vom 2. Weltkrieg am stärksten verwüsteten Region unseres Kontinents. Nur in Karschevitoye, einem Dorf an der Wolga 100 Kilometer östlich von Wolgograd (ehemals Stalingrad), entstanden Fotografien jenseits der damaligen Front – 2500 Kilometer von Berlin entfernt. Die 33 Fotografien sind so angeordnet, als ob sie auf einer einzelnen Reise entstanden wären: von Berlin mit der russischen Ruhestätte im Treptower Park, über Gdansk, Kaliningrad, Smolensk, Kiew bis nach Karschevitoye und wieder zurück bis zu einer ehemaligen sowjetischen Panzerkaserne Forst Zinna bei Jüterbog, 50 Kilometer südlich von Berlin.
Für viele Westeuropäer ist dieses Wostok terra incognita. „Hic sunt leones“ steht auf alten Landkarten dort, wo Unerforschtes noch schlummert. „Weit hinten, ganz außen“ schreibt Stephan Wackwitz. („Was wir verloren haben“ in: „Nachdenken über die Ukraine“ 2022). Daniel Graefen unternahm seine Studienreisen nach Polen, die Ukraine und Russland seit 2006. In der a|e Galerie reihen sich Denkmäler, mittelalterlich anmutende Städte, Friedhöfe, Ruinen, der riesige Maidan in Kiew neben Plattenbauten und urbaner Verwahrlosung. Kurze Texte und QR-Codes des Fotografen liefern notwendige Informationen für eine intensivere Bilderschließung. Man sieht nur was man weiß!
Wie Echos können Spuren der jüngsten Geschichte heute noch nachklingen. So sieht es Daniel Graefen. Echos sind der 2. Weltkrieg, der untergegangene Kommunismus, der Schock der Transformation zum Kapitalismus und der Maidan 2013/14 in Kiew mit seinen Auswirkungen.
Krieg
Wir wissen alle, daß die wiederaufgebauten Städte Folgen des 2. Welt-kriegs sind. Mit Vorliebe rekonstruieren wir sie uns “schön“ in den Vorkriegsstatus zurück. Danzig wurde seit 1939 schwer zerstört. („Seit 5:45 Uhr wird jetzt zurückgeschossen“). In den 60er und 70er Jahren wurde die Hafenstadt wieder aufgebaut, aber hinter den bröckelnden neubarocken Fassaden wird der Betonkern sichtbar. Kaliningrad ehemals Königsberg ist eine russische Enklave und wurde durch britische Bombenangriffe 1944 und durch die Rote Armee im April 1945 stark zerstört. Heute ist das ehemalige historische Zentrum Kneiphof ein Park
mit dem herausragenden Dom (Grab von Immanuel Kant). Vor dieser Kulisse lassen sich gerne Hochzeitspaare ablichten.
Untergegangener Kommunismus
Neben den Denkmälern erscheint dieses Echo sichtbar in den typisch in kommunistischer Zeit entstandenen Wohn- und Repräsentationsbauten oder in den riesigen Platzanlagen wie in Charkiv oder Kiew. In fast allen Städten grüßt Lenin vom Sockel wie in Nikopol oder eine pathetische Monumentalfigur wie Mutter Heimat in Kiew. Schocktherapie/Transformation
In den zum überwiegenden Teil während der kommunistischen Zeit gebauten oder rekonstruierten Städte wie Smolensk hat sich das heutige Leben eingerichtet mit seinen Reklametafeln, Coca-Cola Schirmchen, Handy-Shops und Imbissbuden. Große Armut ist sichtbar, das Angebot in den alten Markthallen überschaubar. Unübersehbar der protzige Reichtum: Riesige SUVs prägen das Stadtbild. Mit einer sogenannten Schocktherapie (шоковая терапия) versuchte Boris Jelzin den Übergang von der Plan- in die Marktwirtschaft Anfang der 90er Jahre möglichst schnell zu vollziehen. Er stürzte die Bevölkerung in zum Teil elende Armut und machte damit gleichzeitig eine Elite binnen kürzester Zeit unvorstellbar reich. Es entstand das Oligarchentum. Jelzin hatte die größten Rohstoffkombinate veräußert. Sieben Bankiers profitierten, darunter Michail Chodorkowski. Maidan in Kiew
Der Maidan als Umbruch in der Ukraine im Winter 2013/2014 klingt nur an. Fotos der erschossenen Demonstranten neben niedergelegten, vor sich hinwelkenden Blumen prägen improvisierte „Gefallenen“mementos. Boris Nemzow ist darunter sicherlich das Berühmteste. Ein Jahr vor seiner Ermordung 2015 notierte er: “Der Kreml kultiviert und belohnt die niedrigsten Instinkte der Menschen, um Hass und Kampfbereitschaft zu fördern. Diese Hölle kann nicht friedlich ausgehen.“ (Christine Brinck „Getreide als Waffe“ S. 20 in PNN, 22. September 2022). In der Ukraine wurden nach dem Maidan Leninstatuen vom Sockel gekippt oder in ukrainischen Nationalfarben bemalt wie in Nikopol.
Interviews aus der Ukraine
Im Souterrain der Galerie sind Portraits von Ukrainern, die Daniel Graefen bei einer Interviewrecherche 2015 fotografiert hat. Ihre zentralen Aussagen sind textlich dargestellt. Zusätzlich hört man die Stimmen der Interviewten in ihren Muttersprachen. Vielen ist gemeinsam die Befürchtung eines bevorstehenden Krieges. So äußert der Schauspieler Igor Salimonov aus Kiew: „Sofort nach der Annexion wollten wir nach Lemberg fahren, wir wollten so weit wie möglich von Russland weg sein, weil wir dachten zu dieser Zeit, dass Putin noch weiter einmarschieren würde.“ Sommer 2022
Diesen Sommer sollte es wieder in die Ukraine gehen. Eine selbstorganisierte Studienreise. Das ist schon Abenteuer genug. Aber das lässt sich noch toppen: Daniel Graefen und seine Partnerin Elisabeth Hronek wollten wieder mit ihren Motorrädern und Zelt aufbrechen. Die Interviewten von 2015 wollten sie aufsuchen und sie über die Entwicklungen der letzten sieben Jahre befragen. Doch viele haben inzwischen ihre Wohnorte verlassen, einige das Land.
Text: Daniel Graefen und Angelika Euchner – September 2022
Die meisten Fotografien werden in der a|e Galerie erstmalig der Öffentlichkeit vorgestellt.
Katalog Daniel Graefen „Stand der Dinge“ Graefen und Hronek Verlag, Berlin 2. Auflage 2014 60,-€
Daniel Graefen und Elisabeth Hronek „Ukraine Begegnungen – Interviews“
Graefen und Hronek Verlag, Berlin Erste Ausgabe 2018
Ausstellungszeit:
17. September - 5. November 2022 Mi -Fr 15 -19 + Sa 12 –16 Uhr
0178 602 82 10 aeuchner@mail.de
geschlossen: 1.10. - 8.10.2022