As part of European Month of Photography EMOP
Berlin-Potsdam, 10. Jubiläumsausgabe

Ausstellungsinformation der a|e Galerie

„Carpe diem – denn wir sind keine 30 mehr“

Vernissage am 3. März, 19 bis 22 Uhr
Ausstellung vom 4. März bis 6. April 2023

Klaus D. Fahlbusch, Peter Frenkel, Harald Hirsch, Thomas Kläber, Thomas Kummerow, Michael Lüder, Jürgen Matschie, Mathias Marx, Susanne Müller, Karin Müller-Grunewald, Uwe Paul Schulze, Monika Schulz-Fieguth, Barbara Thieme und Petra Walter-Moll

Artist talks: Fotografinnen und Fotografen im Gespräch 17. März, 19 Uhr und 24. März, 19 Uhr

Abends in Potsdam im Spätsommer 2021 bei einer Foto-Vernissage im Gespräch zu dritt. Wir wären immer noch jung, kaum verändert, meinte Michael Lüder. Mathias Marx erwiderte: „Nein, wir haben uns verändert, denn wir sind keine 30 mehr.“ Tolles Thema für ein Fotoprojekt, ergänzte damals Angelika Euchner. So beiläufig können Ideen entstehen und weiterentwickelt werden. Jeder lieferte reichlich Stichworte. Bei der Ausschreibung zur 10. Jubiläumsausgabe des EMOP 2023 waren wir uns einig: Wir bewerben uns mit „Carpe diem – denn wir sind keine 30 mehr“. Michael Lüder und Mathias Marx wurden zu Co-Kuratoren. Gemeinsam haben wir 14 Fotografen und Fotografinnen ausgesucht plus minus sechzig Jahre alt.
Das geflügelte Wort von Horaz „Carpe diem“ bedeutet „pflücke (nutze) den Tag“. Und weiter heißt es bei diesem berühmten römischen Dichter: „quam minimum credula postero“ – vertraue so wenig wie möglich auf den nächsten. Wir beziehen dieses „Pflücken“ auf das Fotografieren eines besonderen Moments eines einmaligen „Augenclicks.“ Wir wollten keine Schnappschuss-mentalität mit über hundert digitalen Bildern pro Motiv, keine visuelle Inkontinenz bis zum Bilderüberdruss. Dem Betrachter wird auf diese Weise ein Innenhalten ermöglicht, ein Nachvollziehen wie der Fotograf einst ganz subjektiv sein Bild festgehalten hat. Da muss man die Luft anhalten, unbeweglich bleiben, wenn man von Thomas Kläber fotografiert wird. So entstand „Geschwister“ in Beyern bei Herzberg 1979. Über vierzig Jahre liegt das zurück und Thomas Kläber erinnert sich gut an diesen Moment. Harald Hirsch fängt eine Turnerin ein in knapper Kleidung bei einer 1.-Mai-Kundgebung 1985 in Potsdam. Aktuell hat er noch eine Ukrainerin ausgesucht, die am 1. Mai 2022 in Jena Waffen für ihr Land fordert. Jürgen Matschie verfolgte Osterprozessionen in Spanien und in der Lausitz. Offensichtlich erkennt ein Mädchen einen Prozessionsteilnehmer in Ubeda und blickt schelmisch zu ihm hoch. Uwe Paul Schulze entdeckte blitzschnell eine Frau mit Kinderwagen an einem stürmischen Regentag an der Ostsee 2017.
Susanne Müller ist ihre Serie mit Männern in ihren Schlafzimmern noch ganz gegenwärtig. Damals wollten einige schnell ihre Bilder sehen und so formulierte einer etwas unverschämt: „Hey Schnecke, wann sind die Bilder fertig?“ Das wurde zum Titel ihrer Serie Ende der 90er Jahre.
Monika Schulz-Fieguth stand in unmittelbarer Nähe von Willy Brandt auf der Terrasse des Reichstags in der Nacht vom 2. zum 3. Oktober 1990. „Ich schaute einen Moment nach rechts und sah in das völlig ergriffene Gesicht von Willy Brandt, der in diesem Moment seine Tränen nicht verbergen konnte (…). Für mich ist dieses Porträt eines meiner wichtigsten Charakterbilder“ schreibt sie. Der Blick von Angela Merkel zu Michael Gorbatschow spricht für sich. Monika Schulz-Fieguth hatte sie bei der Eröffnung der Villa Schöningen 2009 überraschend vor ihrer Kamera.
Einen tiefgreifenden Einschnitt erlebte Klaus D. Fahlbusch bei einem ihm vertrauten Alltagsritual: Kaffee trinken im Café Heider in Potsdam. Zum letzten Mal bezahlte er mit DDR-Mark am 30. Juni 1990. Der geschichtsträchtige Moment war ihm sofort bewusst. Carpe diem. Er arrangierte ein Stilleben. „Als Fotograf war mir damals instinktiv klar: Es gibt kein Später, keine zweite Chance, jetzt musst du es festhalten.“ Sein Fotoband „Potsdam im Wendejahr 1989/90“ vereinigt 61 s/w-Fotografien, darunter intensiv erlebte Momente und dokumentarische Aufnahmen. Auch viele seiner Kollegen und Kolleginnen haben damals hervorragende Fotografien gemacht und/oder den Russenabzug begleitet.
Susanne Müller zeigt ein Originalfoto von 1993 mit einem russischen Mädchen in Fürstenberg, was sich offensichtlich auf die Heimreise freut.
Peter Frenkel fängt die maskierten Besucher im Humboldtforum ein. Kulturgenuss und Pandemie als Zeitdokument.
Barbara Thieme war 2012 in Gambia unterwegs. Besonders beeindruckt war sie von der über 90-jährigen Hebamme Aja Bintou. Zwei Motive zeigen sie als Wartende bei einer Geburt und als entspannte Frau bei der Zeremonie einer Namensgebung.
Thomas Kummerow hat 2003 zwei sehr selbstbewusste Mädchen im Dorf Criuleni in Moldawien angesprochen, die gerne für ihn posierten und von ihren Zukunftsträumen sprachen. 2015 konnte er unbeobachtet Mennonitinnen in Pennsylvania fotografieren, die in den Grand Canyon schauen. 2003 hat er „Ousmane L.“ in Erfurt porträtiert, der dem Blick des Fotografen geduldig standhält. Er gehört zum Projekt „… angekommen. Ein Fotoporträt zum Thema Heimat. 30 Porträts, die in Deutschland ein neues Zuhause gefunden haben“ In Thüringen ist es entstanden. „Ousmane L.“ aus der Republik Kongo hatte 2003 eine Ausbildung zum Computerfachmann begonnen. (Zum Thema „Angekommen“ gab es seither viele Fotoausstellungen in Deutschland wie z. B. in Berlin im Haus am Kleistpark Oktober/Dezember 2022.)
Aspekte wie Älterwerden, Krankheit, Tod, Vergänglichkeit – memento mori – gehören unmittelbar zu „carpe diem“ dazu. Michael Lüder hat die Generation 60 im Blick und im Jahr 2022 Freunde und Bekannte porträtiert. Er befragte sie, wie sie gegenwärtig über ihr Leben denken und betitelte seine Serie mit „Was die Zeit mit uns gemacht hat“.
Mathias Marx beschäftigt sich mit der Vergänglichkeit des Fotomaterials wie es typisch für ein Polaroidbild ist. Es wird immer blasser und in wenigen Jahren ist das Motiv ganz verschwunden. Monika Schulz-Fieguths Serie „Ecce homo“ widmet sich dem letzten Lebensjahr des Fotografen und Kurators Peter Herrmann, den sie 2009 begleiten durfte. Seine Sterbestunde in den Armen seiner Frau am 4. Oktober 2009 hält sie in respektvoller Nähe fest, die sich nicht in Worte beschreiben lässt. Ein bewegendes Porträt des Paares, was uns im Innersten berührt. Hier zeigt sich am intensivsten unsere Verbindung zu „Touch – Berührung“, dem Leitmotiv des diesjährigen Europäischen Monats der Fotografie.
Bei Thomas Kläber sehen wir aus der Serie „Am Ende der Zeit“ vier Bilder von der Drogistin Annemarie Jatzlauck, 2006–2013 in Cottbus und Kolkwitz entstanden, wie sie ihr einfaches Alltagsleben bewältigt. Es endet mit der Beerdigung der Drogistin, das Hündchen nimmt Abschied am Grab.
Ein fragiles Stilleben eines Spinnennetzes ist ein Vergänglichkeitsmotiv. Petra Walter Moll hat es 2022 entdeckt.
Karin Müller Grunewald ist schwer erkrankt und ein Foto von ihrer Islandreise von 2021 folgt noch. Carpe diem – nutze den Tag, denn du bist sterblich.

Text: Angelika Euchner



a|e Galerie, Charlottenstr. 13, 14467 Potsdam
Mi–Fr 15–19, Sa 12–16 Uhr geöffnet
www.ae-galerie.de



Ausstellungshinweis
3. März, 19 Uhr
Peter Frenkel: „Auf den Hund gekommen“. Zeitdokumente der Wendezeit,
Potsdamer Kunstverein, Galerie „Gute Stube“, Charlottenstraße 121 (schräg gegenüber)